Gräfenthal. Angekündigt hatte Stefan Kreißig es schon im vergangenen Jahr, dass er dieses Jahr zum letzten Mal mit dem Verein Reaktionsraum und seinem „Sommertheater auf Burgen und Schlössern“ im Landkreis unterwegs sein wird. Und er macht ernst – zumindest in den bisherigen Ankündigungen. Den Titel des diesjährigen Stücks „finalFaust2019“ kann man dann durchaus doppelsinnig verstehen: Das Stück als Abschluss einer zehnjährigen Tour des Reaktionsraums, oder aber auf Faust selbst bezogen – der Abschluss und die Bilanz eines Lebens.
Seit fünf Jahren bilden Stefan Kreißig und Nils Foerster ein Regisseursgespann – und sie lassen es zusammen mit dem Ensemble durchaus krachen. Der ganze Faust in drei Stunden – das macht neugierig, wie viel von Goethes Faust tatsächlich drin steckt.
Faust und Mephisto, das Vorspiel im Himmel, Auerbachs Keller, Hexenküche, Gretchen, die Mutter und Kind ermordet, Kerker und Gericht und Erlösung (oder auch nicht) – die meisten Kernthemen sind drin. Damit wird der Faust I eine runde Sache – und durchbricht doch alle Erwartungen. Zumindest dann, wenn man den Stil der Regisseure noch nicht kennt. Denn was am Freitagabend bei der Premiere vor 85 Zuschauern – und damit Zahlen wie in den besten Zeiten ablief – stellte die Zuschauer nicht nur zufrieden, es begeisterte sie.
Aufgrund des kleinen Ensembles spielten auch Foerster und Kreißig wieder mit. Als Assistenten des Höllenfürsten Mephisto im Affenkostüm mussten sie sich nicht nur mit dem stetigen Bühnenumbau abplagen – sie durften auch den angeblich großzügigen Spott ihres Herrn Mephisto ertragen. Diesen Mephisto spielt Anton Pohle – man könnte sagen, überragend. Aber: dem steht auch sein Duo-Partner Faust alias Robert F. Martin in Nichts nach.
Das Duell zwischen Mephisto, der als allmächtiger Dandy wie ein unangreifbarer Pate agiert, und diesem sehr speziellen Faust, kann eigentlich nur einer gewinnen. Und Faust kann es nicht sein, er leidet ja schon körperlich, wenn er Mephisto nur berührt. Faust in der Studierstube ist mit einem Hygienewahn ausgestattet, gewissermaßen geistig beschädigt, suhlt sich dann doch in einem Haufen Dreck, und versucht sich aus seiner selbst gewählten Isolation und Unmündigkeit zu befreien. Da leidet er, beobachtet, gibt exzessiv seinem „Diener“ Mephisto Befehle und leistet Widerstand gegen dessen Zumutungen. So richtig menschlich authentisch wird er aber erst – als jugendlich verliebter Teenager.
Zurück zum Start: Ein großer schwarzer Klotz (Bühne Nils Foerster, Ausstattung Lara Nachtigall) beherrscht die Bühne. Es ist Fausts Gefängnis, aus dem er versucht auszubrechen. Als die Vorderwand durchbrochen ist, erweist es sich dann als die erwartete Guckkasten-Bühne mit einer sehr kleinen Welt, in der Faust, der große Wissenschaftler haust. Mit Hilfe der Höllen-Assistenten lässt sich die Bühne kippen, wird zum Kessel der Hexenküche ebenso wie zum Podium – und zur großen Rampe, die am Ende Faust verschlingt.
Freiheit erlangt Faust erst in der Welt des jungen Mädchens Gretchen (Rixa Rottonora). Was dort abgeht – zwischen Faust und dem Mädchen, zeigt am allerbesten, was diesen Theaterabend ausmacht: Die Theatermacher halten ein, was sie versprechen – einen frischen Blick auf Faust und auf ein ganz heutiges Liebespaar. Zumal bis auf den souveränen Einsatz von Licht- und Tontechnik auf digitalen Schnickschnack verzichtet wird. Musikalisch begleitet Annika Hein den Abend – mit dem Akkordeon und mit ihrer lyrisch-melodischen Stimme, die gerne noch mehr Einsätze vertragen hätte können.
Rixa Rottonora hatte bereits in den vergangenen zwei Jahren mit ihren artistischen Künsten und dem agilen Spiel beeindruckt und tut es auch diesmal schauspielernd als Gretchen und als Hexe, wobei sie in beiden Rollen ihre umfassende Körperbeherrschung zeigt – und ganz besonders die Schlussszene im Kerker in Erinnerung bleibt, wenn sich die zum Tode verurteilte Kindsmörderin buchstäblich in ihren Wahnvorstellungen windet.
Dem Faust I haben die Theatermacher noch einen Faust II drauf gesetzt – und das in unerwarteter Form. Das Publikum erlebt in einem fiktiven Stationentheater eine Zusammenfassung und Spielszenen rund um die Binnengeschichten des Faust II: Um Ikarus und die Flügel, um das glücklichste Paar der Welt, Philemon und Baucis, um Homunkulus und die schöne Helena.
Nach 3 Stunden ist Faust durch die Zeit und die Welt gejettet – und endet als zitteriger alter Greis, der jetzt den letzten Moment des Lebens festhalten will. Mephisto hat gesiegt – und muss erleben, wie ihm sein Preis – Fausts Seele – auf den letzten Metern abhandenkommt. Die Rampe des Scheiterns für Mephisto gibt zum Abschluss nochmals ein starkes Bild.
Die Gastgeber in Gräfenthal, Diakon Jürgen Wollmann und Bürgermeister Wolfgang Wehr, dankten Stefen Kreißig und seinem Team herzlich für die vergangenen zehn Jahre Theatererlebnisse. Dieser wiederum hob hervor, dass die Premieren in Gräfenthal ohne Katrin Fichtners umfassendes Engagement nicht möglich gewesen wären.
Martin Modes
Presse- und Kulturamt
Fotos von der Premiere in Gräfenthal – Martin Modes
Nach der Premiere in Gräfenthal und den Wochenendaufführungen in Saalfeld und Schwarzburg besteht jetzt noch fünfmal die Möglichkeit, das Stück in völlig unterschiedlichen Umgebungen zu erleben:
MI 24.07.2019 19:00 im Heimatmuseum Könitz,
DO 25.07.2019 19:00 Uhr in der Friedrich-Adolf-Richter Schule Rudolstadt,
FR 26.07.2019 19:00 Uhr im Schloss Eichicht,
SA 27.07.2018 19:00 Uhr auf der Burg Ranis,
SO 28.07.2018 19:00 Uhr im Pfarrhaus Skt. Jakob Leutenberg.
finalFaust2019
Regie: Nils Foerster/Stefan Kreißig
Spiel: Rixa Rotonarra/Robert Martin Anton Pohle
Musik: Annika Hein
Bühnenbild Nils Foerster
Kostüme: Lara Nachtigall
Produktion: Lydia Weber/Stefan Kreißig
Technik: Anton B.W. Rhein