Saalfeld/Kalush. In der vergangenen Woche besuchte Landrat Marko Wolfram kurzfristig seinen ukrainischen Amtskollegen Mykhailo Lavriv im Partnerlandkreis Rajon Kalush. Ziel war die Planung der weiteren Zusammenarbeit, ein Austausch über Flüchtlingsthemen sowie einen Eindruck vom Alltag in dem vom Krieg gebeutelten Land zu bekommen. Begleitet wurde der Landrat vom Leiter des für Kreispartnerschaften verantwortlichen Presse- und Kulturamtes, Peter Lahann.
Die deutschen Besucher wurden von ihren ukrainischen Gastgebern im polnischen Lubaczow, unweit des Grenzübergangs, abgeholt, um die Einreise zu erleichtern. In der Ukraine stand zunächst ein Besuch in der Bezirkshauptstadt des gleichnamigen Bezirks Iwano-Frankiwsk auf dem Programm. Dort empfingen der Vorsitzende des Bezirksrates, Oleksandr Sych, und sein Stellvertreter Vasyl Hladiy, die Gäste. Für die Verständigung sorgte die sehr gut Deutsch sprechende Kristina Lavriv, die Frau des Kaluscher Kreisratsvorsitzenden. Der Bezirk hat rund 1,3 Millionen Einwohner und umfasst sechs Landkreise (Rajone), darunter Kalush. Sych dankte Wolfram für den Besuch. Es sei nicht selbstverständlich, in der aktuellen Situation in die Ukraine zu reisen. Doch sei dies für die Partner ein Signal, dass ihnen Kraft gebe, durchzuhalten, bis der Krieg beendet ist.
Der Bezirksratsvorsitzende bekundete sein Interesse an weiteren Partnerschaften mit Deutschland und bat Wolfram um Vermittlung. Ein Schwerpunkt war zudem die Unterbringung von Flüchtlingen. Der Bezirk hat offiziell gut 100.000 Binnenflüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Osten untergebracht. Die Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen, da sich nicht alle Geflüchteten registrieren lassen. Ein anschließender Rundgang durch die Stadt vermittelte einen Eindruck von den hohen ukrainischen Opferzahlen im Krieg. In der Fußgängerzone stehen auf mehreren hundert Metern großformatige Porträts von Gefallenen. „Das ist schon beklemmend, vor allem, weil viele der Getöteten so jung sind“, so der Eindruck des Landrates. „Durch die Bilder werden einem die grausamen Konsequenzen dieses furchtbaren Krieges deutlich vor Augen geführt. So viele unmittelbar betroffene Familien.“
Am nächsten Tag stand ein straffes Besuchsprogramm an. Zunächst stellte Landrat Lavriv die örtliche Klinik in Kalush vor. Hier ist einer der Krankenwagen stationiert, die dank Spenden an den Kreispartnerschaftsverein Saalfeld-Rudolstadt beschafft und in die Ukraine geliefert werden konnten. Die Führung übernahm der stellvertretende Leiter, Taras Bandura, der im Februar die Thüringen-Kliniken Saalfeld besucht hatte. Anschließend ging es weiter zu einer Kinderpolyklinik mit Physiotherapieeinrichtung. Ein Teil der Ausstattung wurde hier durch Spenden aus Deutschland ermöglicht, berichtete Bandura. Landrat Marko Wolfram übergab seinem ukrainischen Amtskollegen eine weitere Spende des Kreispartnerschaftsvereins über 1.000 Euro für die Klinik.
Von der Kreisstadt Kalush ging es weiter in ein benachbartes Dorf zu einer Flüchtlingsunterkunft. Das Gebäude war durch die Hilfsorganisation MoveUkraine saniert worden, um dort Geflüchtete aus der Ostukraine unterzubringen, und wurde im Rahmen eines Besuchs von Abgeordneten aus Kiew an diesem Tag vorgestellt. Im Gespräch mit der Vorsitzenden von MoveUkraine Patricia Shmorhun Hawrylyshyn besprach Wolfram Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch bei der Rückkehr von nach Deutschland geflüchteten Ukrainern in ihr Heimatland.
Es folgte ein kurzer Besuch bei einer Konferenz zur Unterbringung von Binnenflüchtlingen in Kalush. Aktuell sind im Rajon 30.000 Geflüchtete aus Kriegsgebieten registriert, mehr als zehn Prozent der Bevölkerung des Kreises. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Zum Vergleich, im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sind derzeit rund 1800 Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht bei 101.000 Einwohnern. Besonders bewegend war ein anschließender Besuch auf dem Soldatenfriedhof. Dutzende frische Gräber, geschmückt mit Blumen und Gebinden und großen Porträts der Getöteten lassen nur erahnen, wie hoch die Opferzahlen auf ukrainischer Seite selbst im Westen des Landes, weit ab von der Front, sind. „Der Besuch hat mich sehr berührt, das letzte Grab war von einem jungen Mann, der erst am Sonnabend gefallen ist“, sagte Wolfram.
Nach einem weiteren Stopp im Verwaltungsgebäude des Rajons ging es weiter zu einem Besuch in den Karparten, mit einer durch Forstbeamte geführte Wanderung. Der Folgetag ermöglichte den Besuchern aus Deutschland einen kleinen Einblick, wie die Ukrainer ihren Alltag meistern. Denn trotz fast täglichen Luftalarms per Handyapp oder Sirene wegen der Raketenangriffe aus Russland, versuchen sie ihr Leben für sich und ihre Familien möglichst normal zu organisieren. Einkaufen, Arbeit, Schule und auch Freizeitgstaltung wie ein Restaurantbesuch gehören dazu – bis zur frühen Sperrstunde um 22 Uhr.
„Ich bin beeindruckt, wie unseren Freunden der Spagat zwischen Krieg und Alltag gelingt. Die psychischen Belastungen kann man sich kaum vorstellen, wenn mehrmals am Tag das Handy Alarm schlägt“, so der Landrat. Wolfram dankte seinem Amtskollegen für die herzliche Gastfreundschaft. „Wir haben viele neue Kontakte geknüpft, Ideen für die weitere Gestaltung der Partnerschaft entwickelt und gleichzeitig gesehen, wie nötig unsere weitere Unterstützung ist“, fasste der Landrat zusammen. Ein nächstes Treffen soll im September im polnischen Partnerlandkreis Opole stattfinden. Im November findet in Leipzig eine Deutsch-Ukrainische Partnerschaftskonferenz statt, bei der auch konkrete Förderprojekte besprochen werden sollen.
Franziska Ehms
Presse- und Kulturamt